Bolivien International II: Schurkenstaaten
Die Bezeichnungen „Schurkenstaat“ oder „Achse des Bösen“ sind die am schwersten zu beseitigenden Altlasten aus der Regierung George W. Bush: dort, wo einmal schwarz-weiß gemalt wurde, lässt sich ein nuanciertes Bild kaum noch herstellen. In Kuba mag ein Regierungswechsel vollzogen worden sein, Obama mag Chavez die Freundschaft angeboten haben – in den Köpfen der Menschen ist die Welt nach wie vor in gut und schlecht geteilt (selbst – oder gerade – Überläufer können daran nichts ändern). Ist Bolivien nun also ein Schurkenstaat? Versuchen wir also auch in diesem Blog, zunächst schwarz-weiß zu malen…
Bolivien ist natürlich ein Schurke par excellence! In Bolivien wird, wie in anderen Ländern auch, Erdgas gefördert. Diese Länder haben sich, dem Vorbild der erdölexportierenden Staaten folgend, zur Organisation erdgasexoprtierender Länder GECF (Gas Exporting Countries Forum) zusammengeschlossen. Soweit, so unverdächtig! Wirft man jedoch einen Blick in die Liste der Mitglieder so stehen da unter anderem Iran, Venezuela und eben – Bolivien. Wer (wie wir in diesem Post) schwarz-weiß malt, bekommt eine Gänsehaut: sind das nicht dieselben Länder, die bislang ihre heftige Rhetorik gegen die USA mit derselben Sorgfalt pflegten, wie andere Leute Orchideen oder Autolacke?
Vielleicht ein anderes Beispiel: Als Anfang des Jahres der Konflikt im Gaza-Streifen eskaliert, brechen Venezuela und Bolivien aus Protest ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. In Israel äußert man prompt die Befürchtung, dass dahinter eigentlich der Iran steckt: Dieser versuche nämlich immer stärker, politische Allianzen in Lateinamerika zu schmieden um den Antisemitismus in diesen Ländern zu schüren. Der wichtigste Verbündete dafür ist Venezuela: Mit venezolanischem Geld und Öl kauft sich Hugo Chavez den politischen Einfluss in Lateinamerika – häufig genug trat er mit seinen treuesten Gefolgsleuten Evo Morales und Fidel Castro gemeinsam auf. Alles nur Zufall?
Heute lese ich schließlich, dass Israel den beiden Ländern Bolivien und Venezuela vorwirft, Uran für das iranische Atomprogramm zur Vefügung zu stellen. Auf den ersten Blick einleuchtend: Die Schurkenstaaten machen mobil! Doch was steckt eigentlich dahinter?
Vielleicht wäre es für diesen Artikel nun an der Zeit, vom neuen Präsidenten der USA Kenntnis zu nehmen – und davon, dass sich die politischen Beziehungen mit ihm deutlich verschoben haben: der Ton zwischen den lateinamerikanischen Ländern und den USA ist freundlicher geworden, zwischen den USA und Israel dagegen etwas kritischer. So schreibt Amerika21 zu den jüngsten Vorwürfen Israels gegen Boliviens Beteiligung am iranischen Atomprogramm:
Unmittelbar vor dem Besuch des neuen israelischen Premierministers in Washington forderte die amerikanische Atomunterhändlerin Rose Gottemoeller Israel vor zwei Wochen auf, dem Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen beizutreten. Sie nannte Israel scheinbar beiläufig zusammen mit Indien, Pakistan und Nordkorea.
Was ist passiert? Israel im selben Atemzug mit dem Schurken Nordkorea? Man erinnere sich dagegen zurück: Händeschütteln zwischen Obama und Chavez. Die alte Kategorie „Schurke“ / „Nicht-Schurke“ scheint irgendwie nicht mehr richtig funktionieren zu wollen. Möglicherweise ist mit dem neuen Präsidenten der USA eine neue Außenpolitik gekommen. Doch vielleicht ist ja auch einfach die Welt selbst nicht (mehr) so schwaz-weiß – wer weiß?
Für Bolivien kann man aber vielleicht festhalten: Es ist leicht, außenpolitische Akzente zu setzen, wenn die US-kritische Rhetorik von den Verbündeten getragen wird – und (wie unter Bush) sogar erwidert wird. Ist die Welt erst einmal polarisiert, dann kann man leicht auf der einen (oder anderen) Seite stehen und sich dadurch mehr Profil verleihen: „Ich gehöre zu den Guten!“ oder „Ich gehöre zu den Besseren!“. Nur spielt Obama dieses Spiel nicht mehr mit. Und dann können es auch die Schurken nicht mehr spielen. Ja dann macht die Unterscheidung von „Schurken“ und „Nicht-Schurken“ am Ende keinen Sinn mehr. War Bolivien vielleicht also nur deshalb ein Schurkenstaat, weil man ihm die Möglichkeit dazu gegeben hat? Ein kontroverses Thema – Kommentare sind erbeten…
1 comments on “Bolivien International II: Schurkenstaaten”
Warum Altlast? Bush hat klare Linien gezogen, um zu zeigen, welche Staaten eine unakzeptable Politik betreiben. Ich halte es durchaus für richtig, Staaten, deren Führung Ziele verfolgt, die eine Bedrohung darstellen (wie das zu definieren ist, ist eine andere Frage), wenn nicht anders möglich, wirschaftlich und politisch zu isolieren und in disem Kontext ist Bushs Ausdruck zu sehen. Natürlich ist das eine Polarisierung – was ist daran falsch? Dass ein nuklear bewaffneter Iran eine riesige Bedrohung für die Existenz Israels und das Leben seiner Einwohner darstellen würde, steht für mich außer Frage, weswegen ich es an dieser Stelle für unbedingt notwendig halte, um das nukleare Aufrüstungsprogramm aufzhalten, zu polarisieren: Wer den Iran (durch Handel oder polisch) unterstützt, sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden (z.B. Deutschland). Für Nordkorea gilt ähnliches. Chavez‘ Antiamerikanismus und Israelhass, die in weiten Teilen der lateinamerikanischen Bevölkerung verbreitet sind und auch von der bolivianischen Regierung getragen werden, sind bisher zum Glück kein militärisches Problem – im Gegensatz zum Iran.
Klar ist es richtig, diese Exklusionen zu überdenken, wenn es Anzeichen für Änderungen in der politischen Führung gibt. Im Iran wird morgen gewählt, hier sind solche Anzeichen nicht in Sicht: http://jungle-world.com/artikel/2009/24/35242.html