Vor zwei Wochen haben wir versucht, eine Momentaufnahme vom Stand der Diskussion zu geben. Diese Woche (mittlerweile wurde die Verfassung feierlich in Kraft gesetzt) folgt die Fortsetzung…

Evo Morales trägt so viel Verantwortung wie nie zuvor
Damit die Verfassung in Kraft gesetzt werden kann, muss ein konfligtgeladener Weg beschritten werden, bei dem es entscheidend ist, wie sich Evo Morales politisch verhält. So heißt es in Das Parlament:

„Wichtig ist, dass Veränderungsmöglichkeiten eröffnet werden“, sagt der Lateinamerika-Experte in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Jonas Wolff. „Jetzt kommt es auf die Umsetzung an.“ Denn: Papier ist geduldig, besonders in Lateinamerika. Um die neue Verfassung realisieren zu können, müssen über 100 Gesetze geändert werden. Für einige Vorhaben braucht Morales eine Zweidrittelmehrheit. Im Abgeordnetenhaus kann die Regierung zwar die Mehrheit der 130 Parlamentarier hinter sich vereinen. Im Senat mit seinen 27 Sitzen herrscht jedoch die Opposition.

Vor dem Hintergrund der beiden Argumente im letzten Beitrag ergibt sich ein neues Bild: Erstens rückt der befürchtete Machtmissbrauch wieder in größere Ferne und zweitens haben auch die Präsidentschaftswahlen weniger Bedeutung. Nun wird es wichtig sein, dass sich Morales zeitnah mit der Opposition einigt.

Die vormals Unterdrückten sind die neuen Unterdrücker (2):
Diese These, dass die einstmals unterdrückten Indios nun die weiße Elite diskriminieren, ist provokant. Verständlich also, wenn der Versuch unternommen wird, sich mit dieser Argumentation kritisch auseinanderzusetzen. Bissig und tendenziös kommentieren die Interbrigadas auf Indymedia:

In diesen Kanon reihen sich deutsche PolitikwissenschaftlerInnen der Tagesthemen, die scharf analysieren, dass eine solche “positive Diskriminierung” der Indigenen nichts ändern wird und es stattdessen auf eine Zusammenführung der beiden Parteien ankäme. Diese wahrhaft demokratische Meinung unterschlägt die brutale Realität der Armut, deren Gründe sowie die jahrhundertlange Geschichte von Rassismus und Diskriminierung.  […] Was Bolivien gerade durchmacht ist eine Art Klassenkampf der Wahlurne – nicht blutig, sondern demokratisch – eine schrittweise und sanfte Revolution: den “Cambio”, den Wechsel.

Natürlich muss man, wenn man es schon mit einem „Klassenkampf der Wahlurne“ zu tun hat, Position beziehen, auf der Seite welcher Klasse man steht. Wer da aber den Klassengegensatz leugnet, hat seine Position im Konflikt schon bezogen (ganz ohne Häme hat das ein Klassenkampf so an sich).

Damit schließen wir die Presseschau zur Verfassung (vorerst) ab. Wer eine ausführliche Übersicht über die deutschsprachigen Zeitungsmeldungen zur Verfassung bekommen möchte, sei noch an das Bolivien-Tagebuch verwiesen. Ansonsten scheinen aber wieder andere Dinge in die mediale Aufmerksamkeit gerückt zu sein. Na ja, alles andere hätte uns vermutlich Sorgen gemacht, oder?