Nicht oft finden Nachrichten aus Bolivien auf deutsche Titelseiten – in einer Woche dürfte es allerdings wieder soweit sein. Dann stimmt die bolivianische Bevölkerung in einem Referendum über ihre neue Verfassung ab. Wir möchten daher für unsere Leser die fünf wichtigsten Fragen zur neuen Verfassung beantworten.

Warum braucht Bolivien eine neue Verfassung?
Die jetzige Verfassung stammt von 1967 und entspricht in den Augen vieler Bolivianer nicht mehr dem bolivianischen Selbstverständnis. Sie spiegelt eine bolivianische Gesellschaft wider, in der es eine kleine, privilegierte Elite gibt, die sich deutlich von der indigenen Mehrheitsbevölkerung absetzt. So gilt etwa – ungeachtet der vielfältigen indigenen religiösen Formen – der Katholizismus als Staatsreligion.

Bolivien beschreibt sich heute als multikulturelle und pluriethnische Gesellschaft. Zwar hat es in diesem Sinn seit den 1990er Jahren einige Verfassungsänderungen gegeben, die Forderung nach einer ganz neuen Verfassung wurde trotzdem immer lauter.

Als 2003 der damalige Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada in Folge heftiger Unruhen ins Exil gehen musste, übernahm der Vizepräsident Carlos Mesa die Amtsgeschäfte. Um das Land nachhaltig zu befrieden, leitete er erste Schritte zur neuen Verfassung ein, indem er die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfassungsgebende Versammlung schuf.

Von wem stammt der jetzige Verfassungsentwurf?
Unter dem jetzigen Präsidenten Evo Morales wurden von der Bevölkerung schließlich 255 Abgeordnete zur Verfassungsgebenden Versammlung gewählt. Die Partei von Evo Morales, der MAS, verfehlte dabei knapp eine 2/3-Mehrheit der Sitze. Am 6. August 2006 (dem Nationalfeiertag zur Unabhängigkeit von Spanien) nahm die Versammlung ihre Arbeit auf.

Der Ablauf wurde folgendermaßen festgelegt: Die Verfassungsgebende Versammlung soll innerhalb eines Jahres einen Verfassungsentwurf erarbeiten und mit einer 2/3-Mehrheit bestätigen. Daraufhin erlässt das Parlament per Dekret ein Verfassungsreferendum, in dem die bolivianische Bevölkerung über ihre Verfassung abstimmt. Kommt es hier zu einer einfachen Mehrheit, gilt die neue Verfassung als angenommen.

Warum wird der Verfassungsentwurf so kontrovers diskutiert?

Da die Regierungspartei unter Evo Morales fast im Alleingang ihren eigenen Vorschlag in der Verfassungsgebenden Versammlung beschließen konnte, sahen sich die Oppositionsparteien benachteiligt. Als es Ende 2007 zur Abstimmung kommt, bleiben die Abgeordneten der Oppositionsparteien geschlossen vom Abstimmungsort fern. Trotzdem konnte der Entwurf mit einer knappen Mehrheit bestätigt werden. Mit Hilfe eines Koalitionspartners hatte der MAS seinen Vorschlag zwar formal durchgesetzt, aber der politische Druck war enorm.

Die reichen Tieflandregionen werden als „Media Luna“ (Halbmond) bezeichnet, weil sie sichelförmig entlang der Anden liegen. Hier haben die Oppositionsparteien, anders als im restlichen Bolivien einen hohen Einfluss. Am 15. Dezember 2007 erklären die Landes-Regierungen des „Media Luna“ ihre Autonomie. Diese Autonomieerklärungen bleiben aufgrund formaler Fehler zwar ungültig, Evo Morales sieht sich aber in einer schweren innenpolitischen Krise. So stellt er ein Misstrauensvotum, wird aber am 10. August 2008 mit großer Mehrheit vom bolivianischen Volk im Amt bestätigt.

Gleichzeitig musste im Parlament das Dekret zum Verfassungsreferendum erlassen werden. Allerdings hatten die Oppositionsparteien hier die Mehrheit der Sitze und blockierte den Erlass. Sie forderten stärkere Zugeständnisse im Verfassungsentwurf – insbesondere zu stärkerer regionaler Autonomie – und machten von dieser Nachbesserung das Referendum abhängig. Erst im Oktober 2008 kam es zu einer Einigung: Das Referendum wurde für den 25. Januar 2009 angesetzt.

Wie geht es weiter?
Wird die neue Verfassung am 25. Januar angenommen (davon wird allgemein ausgegangen), sollen am 6. Dezember 2009 der Präsident, das Parlament und die Präfekten neu gewählt werden.

In Bolivien ist die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Legislaturperioden zu je 5 Jahren begrenzt. Theoretisch könnte Morales jedoch, sollte er im Dezember 2009 als Präsident gewählt werden, 2014 erneut für das Präsidentenamt kandidieren, da seine Amtszeit unter der alten Verfassung nicht angerechnet würde. Um aber nicht den Eindruck zu erwecken, die neue Verfassung sei nur entstanden, damit Evo Morales die Begrenzung des Präsidentenamtes auf zwei Legislaturperioden umgehen kann, hat er angekündigt, 2014 nicht mehr für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Welche Auswirkungen hat die neue Verfassung für SARIRY?
Es ist nicht davon auszugehen, dass die neue Verfassung starke Auswirkungen auf SARIRY hat. Zwar wird in dem neuen Entwurf festgelegt, dass internationale Hilfe nicht an Bedingungen geknüpft sein darf, diese Praxis hat SARIRY aber schon von jeher gepflegt: Hilfe zur Selbsthilfe kann nur bedeuten, dass Entscheidungen nicht von oben herab getroffen werden, sondern im Ansehen der konkreten Situation entstehen. An dem engen und konstruktiven Dialog, den unser Verein mit der Projektleitung vor Ort pflegt, wird sich durch diese Regelung der Verfassung sicherlich nichts ändern.